Prosastückchen

Der Herbst ist da (09.10.2005)

Mit dem Oktober kam der Herbst. Plötzlich und unerwartet. Gestern noch hatte die Sonne so kräftig geschienen, dass viele in leichter Kleidung und Flanierlaune durch die Stadt und an der Lahn entlang spaziert waren.
In der Nacht war Nebel aufgezogen und hatte die alten Häuser weit in die bewegte Vergangenheit zurück versetzt. Fast meinte man, das Knarren von Kutschenrädern und den Ruf des Nachtwächters hören zu müssen, doch außer einigen verspäteten Nachtschwärmern schwieg die Stadt.
Der nächste Tag war schon Herbst. Regen plätschert in Bächen die alten Kopfsteinpflasterstraßen hinab. Das Läuten der Kirchenglocken bahnt sich seinen Weg nur mühsam durch den hängen gebliebenen Nebel. Und selbst das Laub scheint über Nacht bunt und farbenprächtig geworden zu sein, wie um schon die Kulissen zu bauen für Wein- und Erntefeste, die nun kommen müssen wie die nächste Nacht und der nächste Tag.

Vampirismus (30.03.2001)

Liebe Zuseher und Zuseherinnen!

Viele von ihnen werden es schon gehört haben: eine neue Volkskrankheit geht um.
Vampirismus ist nicht nur unangenehm für Vegetarier, nein auch unsere gefiederten Freunde, die Fledermäuse, stehen zusehends unter Konkurrenzdruck um Nistplätze, ist ihnen doch die dunkle Gattung in vielem überlegen. Gedankenlesen, Menschen beeinflussen und Verwandlungskünste sind nur einige der Fähigkeiten, denen die Fledermäuse nur Ultraschallwellen entgegensetzen können. Nicht sehr sinnvoll. Der Mensch, bald eine bedrohte Art, kann nicht einmal dies. Hinzu kommt eine Abkehr vom Religiösen, die die Kreuzdichte massiv reduziert hat, eine Abkehr von der bäuerlichen Lebensweise und damit weniger Knoblauchkonsum und nicht zuletzt das Erstarken der CDU, mithin ein Zeichen für mehr schwarz, will heissen: längere Nächte.
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Zwiegespräch (16.03.2001)

Macht Geld denn glücklich? Erfüllt es alle Träume? Beinahe. Wo bleibt denn das Glück etwas erreicht zu haben, wenn man alles kaufen kann? Geld zu haben? Und dann? Aber was man nicht kaufen kann? Also ist Geld egal? Aber es macht alles einfacher. Unbenommen, aber wirkt nicht alles schal neben Champagner und Hummer? Was ist denn anders? Geld korrumpiert. Geld kann man benutzen. Geld benutzt dich - es beschmutzt die Seele.

Mut (04.12.2000)

Es ist dunkel. Andächtig wartet das Publikum auf den Beginn des ersten Aktes, der nie kommt. Es ist still. Schweigsam lauscht das Publikum den sich ewig wiederholenden Geräuschen der Leere. Es ist kalt. Aufmerksam fühlt das Publikum nichts.
Einsam sitzt Mensch neben Mensch. Kein Wagen, nur Hoffen auf mehr. Stunde um Stunde. Jemand entzündet eine Zigarette. Aufgeregt schaut jedermann auf den Rauch und die Glut. Einer tuschelt und verstummt ob seinem Mut. Ein Niemand steht zitternd auf und schleicht zum Vorhang. Schiebt ihn schweren Herzens leicht beiseite und schlüpft hindurch ohne zu denken. Farben schlagen auf ihn ein, wie Blitze zucken Geräusche herum. Es ist schön. Der Niemand wackelt umher, gezogen, getrieben. Er geht in die Knie, gibt sich hin und auf. Prallt gegen den Vorhang, der ihn nicht mehr aufnimmt und schluchzt. Dann steht er auf.
Der Niemand streckt seine Hände in den Himmel und zieht scharf den Geruch der Freiheit ein. Er schreit zum ersten mal in seinem Leben. Draussen wartet andächtig ein Publikum auf den Beginn des ersten Aktes.

Fingerzeig (21.09.2000 früh morgens, überarbeitet am 15.10.2000)

Dreh' Dich nicht um! Dahin geht es noch schnell genug. Du musst nicht laufen. Geh' nach vorn und sieh', wie Du mit jedem Schritt weiter nach hinten kommst. Du bist in der Freak-Show des Lebens gelandet. Es gibt kein vor oder hinter dem Gitter. Nur ein Labyrinth aus Stäben. Blick' hindurch und sieh' die Freiheit. Nein, lass' es, dahinter sind nur mehr Gitter. Gemein. Du bist zum Vergnügen hier. Stell' Dir vor, Du bist der Normale und lache über die armen Kreaturen, die mit dem Finger auf Dich zeigen, wie Du auf sie.

(21.09.2000 früh morgens, überarbeitet am 15.10.2000)

Herr M. kaufte zehn Brötchen und fragte hernach die Verkäuferin, ob er denn zehn Brötchen gekauft habe. Nein, antwortete sie und ich wusste, dies ist nicht meine Welt. Ich bin hier zuhause.